HERAUSFORDERND und KONTROVERS

Sind „leichte“ Schilddrüsenunterfunktionen behandlungsbedürftig? Und wie sind TSH-Werte zu interpretieren?

Die klinische Bedeutung von sogenannten latenten, subklinischen Hypothyreosen ist unklar. Dabei handelt es sich um „leicht verlaufende“ und im übertragenen Sinne um klinisch nicht eindeutig erkennbare Formen einer Schilddrüsenunterfunktion. Sie stellen leichte Grade einer Schilddrüsenfunktionsstörung dar. Bei den Betroffenen fehlen oft oder treten nur minimale Symptome einer Hypothyreose auf (Genaueres unter Schilddrüsenfunktionsstörungen – Die neue Volkskrankheit)

Die Angemessenheit diagnostischer Tests und insbesondere möglicher oder erforderlicher Behandlungen wird kontrovers diskutiert. Einige Studien schlussfolgern, dass eine medikamentöse Therapie vorteilhaft ist, andere hingegen nicht. Eine subklinische Schilddrüsenunterfunktion kann jedoch zu einer manifesten Hypothyreose fortschreiten. Des Weiteren wird sie unter anderem mit nachteiligen Auswirkungen auf Ebene des Stoffwechsels, des Herz-Kreislauf-Systems, der Fruchtbarkeit und Schwangerschaft, des neuromuskulären Systems und der Kognition sowie einer generell geringeren Lebensqualität in Verbindung gebracht.

Behandlung von subklinischen Hypothyreosen aus schulmedizinischer Sicht

Da Schilddrüsenhormone über verschiedene Mechanismen auf das Herz einwirken, wird die subklinische Hypothyreose mit Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Trotzdem ist der Einsatz von Medikamenten bei latenten Unterfunktionen zur Verringerung des Risikos nicht eindeutig von Vorteil. Die Behandlung mit Levothyroxin (Wirkstoff des Medikaments „Eutirox“) ist möglicherweise nur für jüngere oder Patientengruppen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen von Vorteil. Die meisten internationalen Leitlinien empfehlen, dass die Behandlungsentscheidungen individuell auf Grundlage des Patientenalters, der Erhöhung des schilddrüsenstimulierenden Hormons (TSH), des allgemeinen Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie der Symptomatik und anderer Erkrankungen getroffen werden sollten.

Während bei mit Levothyroxin behandelten Patienten unter 65 Jahren kardiovaskuläre Ereignisse reduziert werden könnten, legen andere Ergebnisse nahe, dass eine Behandlung bei Personen im Alter von 65 Jahren oder älter erst beziehungsweise nur in Betracht gezogen werden sollte, wenn die TSH-Konzentration dauerhaft 7 mIU/L oder mehr beträgt. Die TSH-Ziele sind daher altersabhängig zu betrachten, wobei die obere Grenze der Norm bei Patienten unter 40 Jahren bei 3,6 mIU/L und bei Patienten über 80 Jahren bei 7,5 mIU/L liegt. Einzig bei Personen die eine TSH-Konzentration im Serum von 10 mU/L oder mehr aufweisen, wird eine Behandlung generell empfohlen. Es gibt allerdings auch Untersuchungen die bereits bei einem Serum-TSH-Wert von 7 – 10 mU/L auf einen behandlungsbedürftigen Bereich verweisen. Auch für Patienten, deren TSH-Werte zwischen 4,5 und 10 mU/l liegen, ist eine Behandlung mit Levothyroxin indiziert, wenn bereits frühe Symptome einer Hypothyreose vorhanden sind.

Jüngste Studien zeigen, dass fast ein Drittel aller Personen, denen Schilddrüsenhormone angeboten werden, zum Zeitpunkt der Einleitung der Therapie „eigentlich“ eine normale Schilddrüsenfunktion aufweisen. Darüber hinaus werden andere Patienten klinisch diagnostiziert, ohne dass eine biochemische Bestätigung erfolgt. Die Annahme, dass nicht-hypothyreote Symptome mit Levothyroxin verschwinden, ist problematisch, da die wahren Ursachen dieser Symptome unerkannt und unbehandelt bleiben.

Aktuelle Forschungsergebnisse sprechen somit zusammenfassend davon, dass eine Behandlung mit Levothyroxin generell bei Patienten mit einem TSH-Wert über 10 mIU/L eingeleitet werden sollte, während bei Werten unterhalb 10 mlU/L individuell entschieden werden muss. Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren, insbesondere jüngere Patienten, können von der Behandlung profitieren, während bei der Behandlung älterer Patienten mit Levothyroxin Vorsicht geboten ist. Unabhängig der Erhöhung des TSH, bleiben Symptome im Zusammenhang mit Vitalität, Gewicht und Lebensqualität bei einer subklinischen Erkrankung jedoch oft auch bei einer medikamentösen Behandlung bestehen, sodass nach anderen Ursachen gesucht werden sollte. Erschwerend hinzu kommt die Erfahrung aus der klinischen Praxis, dass jeder Patient seinen eigenen, individuellen, „optimalen“ Schilddrüsenhormonspiegel hat. Somit sind gemessene TSH-Spiegel und angestrebte Toleranz- beziehungsweise Normbereiche auch altersunabhängig immer individuell zu betrachten. Wichtig ist jedoch, dass alle Personen mit einer subklinischen Hypothyreose – unabhängig ob medikamentös behandelt oder nicht – regelmäßig (mindestens jährlich) ihre Schilddrüsenhormone bestimmen sollten, um den Verlauf der Entwicklung zu beurteilen und/oder um mit einer medikamentösen Behandlung zu beginnen oder die Dosierung anzupassen.

Hypothyreosen und Lebensqualität

Eine Literaturstudie über die letzten 20 Jahre ergab, dass ein Teil der mit Levothyroxin behandelten Patienten trotz normaler („gut eingestellter“) Schilddrüsenfunktionstests, weiterhin über anhaltende Symptome klagt, die sich auf ihre Lebensqualität auswirken. Auch eine Kombinationsbehandlung mit Liothyronin war nicht generell mit einer besseren Lebensqualität verbunden. Bei (subklinischen) Hypothyreosen scheint somit die Lebensqualität von einer ganzen Reihe von Faktoren beeinflusst zu werden, die nicht ausschließlich mit dem Schilddrüsenhormonspiegel zusammenhängen.

Um negative Einflüsse auf die Schwangerschaft und die fetale Entwicklung zu verhindern, wird eine Behandlung mit Levothyroxin bei schwangeren Frauen und Frauen mit Kinderwunsch, Großteils frühzeitig empfohlen. Neuere Studien ergaben in diesem Zusammenhang klinische TSH-Referenzbereiche von 0,3 bis maximal 3,5 mU/l. Viele Ärzte streben mittlerweile auch noch tiefere Obergrenzen an.

Behandlung subklinischer Hypothyreosen in der naturheilkundlichen Praxis

Von vielen Experten wird eine Anpassung der TSH-Normwerte diskutiert und vorgeschlagen, da die bisherige TSH-Obergrenze von 4,0 mU/l nämlich aus einer Verzerrung der herangezogenen Studie resultiert. Bereits 2002 wurden die Ergebnisse des NHANES (National Health and Nutrition Examination Survey) veröffentlicht. Die Ergebnisse erforderten eine Normwertanpassung des oberen TSH-Wertes, da bei bisherigen Normwertstudien Probanden mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse miteinbezogen wurden. Daher empfiehlt die AACE (American Association of Clinical Endocrinologists) 0,3 – 3,0 mU/l, während sich die NACB (National Academy of Biochemistry) für einen Normbereich von 0,4 – 2,5 mU/l ausspricht. Auch in der naturheilkundlichen Praxis wird ebenfalls bereits ab einem TSH-Wert von 2,5 mU/l empfohlen, eine latente Hypothyreose auszuschließen sowie jährliche Verlaufskontrollen durchzuführen (mit Bestimmung der Schilddrüsen-Antikörper). Leicht erhöhte Werte werden hierbei jedoch nicht medikamentös, sondern meist integrativ behandelt (Latente Hypothyreosen integrativ betrachtet).

Wie man sieht, wird sowohl in den Behandlungs-Leitlinien, als auch in der gängigen klinischen Praxis, wesentliches Augenmerk primär auf das Schidrüsen-stimulierende Organ TSH gelenkt, während die eigentlichen Schilddrüsenhormone (T4 und T3) oftmals kaum berücksichtigt werden.  Im Rahmen einer integrativen Behandlung und Entscheidungsfindung, wäre es allerdings von großer Bedeutung, diese immer miteinzubeziehen.

Siehe dazu: Klein aber Oho – Die immense Bedeutung unserer Schilddrüse und ihrer Hormone

Diesbezüglich stehen wir Ihnen gerne für individuelle Beratungen und Behandlungen zur Verfügung!

Ebenfalls passend zur Thematik:

Latente Hypothyreosen integrativ betrachtet

Toxische (Um)Welt – Herausforderung und Belastung für die Schilddrüse

Zusammenspiel – Wie Schilddrüse, Leber und Darm interagieren

Schilddrüsenerkrankungen und Funktionsstörungen – Die neue Volkskrankheit (?)

thomas stricker, MEd science, Master in clinical PNI

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